Die Belle Epoque in Europa
Lettland
Riga - Metropole des Jugendstils
Bevölkerungsexplosion und wirtschaftlicher Aufschwung
Seit Beginn des 18. Jahrhunderts gehörte Riga zum russischen Zarenreich. Als Hauptstadt des Gouvernements Livland besaß Riga einen der wichtigsten Häfen Russlands. Bis Ende des 19. Jahrhunderts jedoch blieben Stadtkultur und Großgrundbesitz vom Einfluss der deutschen Oberschicht geprägt. 1867 hatte Riga gut 100.000 Einwohner, davon waren über 40 % Deutschbalten, nur jeweils ein Viertel der Bevölkerung sprach lettisch bzw. russisch. Bis zum Jahre 1913 hatte sich die Einwohnerzahl auf über 470.000 fast verfünffacht, wobei sich die Verhältnisse zwischen den Volksgruppen beträchtlich geändert hatten. Während noch 1881 fast 40 % deutsch sprachen und deren absolute Zahl bis 1913 nur um knapp 18 % stieg, steigerte sich die Anzahl der russischsprachigen Einwohner auf das Dreifache und die der lettischsprachigen sogar fast auf das Vierfache, so dass 1913 nunmehr die Letten 40 % der Bevölkerung stellten, während die Russen knapp über 20 % und die Deutschen nur noch auf gut 16 % kamen. Deutsch blieb noch bis 1891 die offizielle Amtssprache Rigas, bevor an seine Stelle das Russische trat. Mitte des 19. Jahrhunderts waren die Stadtbefestigungen abgetragen und das Verbot zum Bau von gemauerten Steinhäusern außerhalb der Altstadt aufgehoben worden. Damit konnte der explodierenden Einwohnerzahl Rechnung getragen und zeitgemäßer Städtebau in den Vorstädten durchgeführt werden. Der gleichzeitige wirtschaftliche Aufschwung in Riga förderte - wie in vielen anderen Städten Europas - einerseits die Schaffung nötiger Infrastrukturen und zum Anderen die Möglichkeit, prachtvolle und kostspielige Mehrfamilienhäuser zu errichten.
Der Rigaer Jugendstil
Zu dieser Zeit war der Jugendstil in Europa stilprägend, und die Baumaßnahmen fanden in erster Linie am und um den prachtvollen Boulevardring statt, der Ende des 19. Jahrhunderts, ähnlich wie in Wien, am Rande der ehemaligen Stadtbefestigung angelegten worden war, dem heutigen Centra rajons. So wurde Riga zu einem wahren Mekka des Jugendstils. Zu den herausragenden Architekten der Jugendstil-Epoche Rigas gehörte vor allem Michail Ossipowitsch Eisenstein (1867-1921), ein jüdischer Deutschbalte aus St. Petersburg (und Vater des Regisseurs Sergej Eisenstein), der fast die gesamte Alberta iela im Alleingang errichtet hat. Weitere, das Stadtbild entscheidend prägende Architekten waren die Letten Konstantīns Pēkšēns (1859-1928) und Eižens Laube (1880-1967). Die meisten der hier abgebildeten Häuser stammen von diesen drei Architekten. Darüber hinaus gab es zahlreiche weitere nennenswerte Architekten, deren vollständige Aufzählung diesen Rahmen sprengen würde, wie beispielsweise die Deutschbalten Friedrich Scheffel (+1913) und Wilhelm Bockslaff (1858-1945) oder den 1872 geborenen Juden Paul Mandelstam, der 1941 von den Nazis ermordet wurde. Die berühmtesten und bei den meisten Touristen beliebtesten Gebäude sind diejenigen Eisensteins und anderer, welche mit überbordendem Dekor und zahlreichen Masken, Tierfiguren und Verzierungen versehen sind. Auch mir gefallen diese Häuser ausgesprochen gut; sie finden sich in erster Linie rund um Alberta und Elizabetes iela. Doch mindestens ebenso sehenswert, wenn nicht weitaus interessanter, finde ich diejenigen Bauwerke, die - oft ohne viel Dekor und mit großer Schlichtheit - durch ihre besondere Formgebung bei Giebeln, Fenstern, Türen, Dächern usw. dem eigentlichen Wesen des Jugendstil mehr entsprechen und Ausdruck verleihen. Solche Häuser finden sich in großer Zahl rund um die Brīvības iela, von der Valdemara iela im Nordwesten bis zur Čaka iela im Südosten.
Kleine Überraschung
In der Altstadt Vecrīga, genauer gesagt an der Ecke von Škūnu iela und Jaunavu iela, stieß ich auf eine Bar, deren Schild mir nur allzu vertraut vorkam. Woher die Betreiber wohl diese schöne Idee genommen haben?