Logo Belle Epoque
Inhalt
Gustav Mahler (1860-1911)
Sinfonie Nr. 7 e-Moll (1904/05)

Uraufführung am 19. September 1908 in Prag unter Leitung von Gustav Mahler

  1. Langsam - Allegro
  2. Nachtmusik I
  3. Scherzo
  4. Nachtmusik II
  5. Rondo: Finale

Schon im Sommer 1904, nachdem Mahler die Sechste Sinfonie vollendet hatte, begann er mit den Arbeiten zur Siebten Sinfonie. Er schrieb die beiden "Nachtmusiken" und entwarf Skizzen für das Scherzo und das Finale, doch hatte er Schwierigkeiten, musikalische Ideen für den ersten Satz zu finden, was mir wenig verwunderlich erscheint, da es nach dem gewaltigen, tragischen Schlusspunkt der Sechsten Sinfonie nicht einfach sein konnte, eine Fortsetzung zu finden, die überleiten konnte zu der der Sechsten konträr gegenüberstehenden Stimmung. Im folgenden Sommer 1905 ging er daran, die Sinfonie zu vollenden, doch ein schöpferisches Tief stürzte ihn in depressionsartige Gefühlszustände, die ihn befürchten ließen, überhaupt nichts mehr zustande zu bringen. Eines Tages jedoch ruderte er mit dem Boot über den See, und wie der Blitz aus heiterem Himmel überkam ihn die musikalische Idee für den ersten Satz, woraufhin er sowohl diesen als auch den dritten und fünften Satz innerhalb von vier Wochen vollendete. Die vollständige Partitur des ersten Satzes trägt den Vermerk "Maiernigg, 15. August 1905, Siebte Sinfonie vollendet". Es sollte aber bedacht werden, dass die Verwendung der Begriffe "Beginn", "Entwürfe" und "Vollendung" in der Mahler-Literatur nicht einheitlich ist; "Vollendung" bezieht sich zumeist auf die Fertigstellung des musikalischen Inhalts, während die Reinschrift der vollständigen Orchesterpartitur erst viel später entstand.

Die Uraufführung der Siebten Sinfonie fand am 19. September 1908 in Prag statt, nachdem Mahler also Wien bereits Richtung New York verlassen hatte. Auf dem 10. Philharmonischen Konzert anlässlich der Feierlichkeiten zum sechzigsten Jahr der Herrschaft Kaiser Franz Josefs I. war sie das einzige Stück auf dem Programm. Otto Klemperer berichtet: "Die Siebente Sinfonie war kein Erfolg. Namentlich der Berliner Kritiker Leopold Schmidt sprach durchaus gegen das Werk, das auch heute noch namentlich im ersten und letzten Teil sehr problematisch ist, aber die drei Mittelsätze wirken hinreißend in ihrer Einfachheit." Im Oktober fand eine weitere Aufführung in München statt, die "vom Publikum mit frenetischem Beifall gefeiert wurde. Die Presse hingegen zeigte sich unnachsichtig gegenüber Mahlers geräuschvollen Kakophonien. [...] Rudolf Louis, Kritiker der Münchner Neuste Nachrichten, selbst Komponist und erklärter Antisemit, nannte die Sinfonie ein Monstrum an Impotenz und Künstlichkeit" (de la Grange/Weiß). So wird die Siebte Sinfonie oft als Fehlschlag angesehen. Noch heute ist sie - sehr zu Unrecht! - Mahlers Stiefkind in den Konzerthäusern und wird wie damals vom Publikum eher mit großer Reserviertheit aufgenommen.

Woran liegt das? Die Siebte Sinfonie wird gern als "sperrig" bezeichnet; sicherlich erschließt sie sich nicht auf Anhieb, doch es ist ja oft so im Leben, dass man etwas intensiver und dauerhafter liebt, je länger man dafür benötigt, einen Zugang zu finden. Keine Meinungsverschiedenheiten gibt es wohl hinsichtlich der Mittelsätze, die allgemein sehr geschätzt werden; problematisch sind Kopfsatz und Finale. Wie erwähnt hat Mahler zur Komposition des Kopfsatzes auch am längsten gebraucht. Aus meiner Sichtweise heraus, dass alle Sinfonien einschließlich des Liedes von der Erde wie ein Roman in elf Kapiteln erscheinen, erschließt sich das recht einfach, denn das Ende der Sechsten Sinfonie setzt eine tragische Zäsur; daran lässt sich nur mühsam anknüpfen, und entsprechend hebt die Siebte Sinfonie zwar geheimnisvoll, doch langsam, bedächtig und mühevoll an; wie ein Kranker nach langem Leiden und großer Erschöpfung wieder zu Kräften kommt, so kommt die Musik Takt für Takt wieder in Fahrt, kehrt das Leben allmählich zurück. So symbolisiert der erste Satz in meinen Augen gleichsam einen Neubeginn.
Das zweite Problem, das sich dem Zuhörer stellen könnte, der Schlusssatz, liegt nach Yasuhiko Mori darin, "dass es keine ersichtliche Notwendigkeit für das glänzende Finale in C-Dur gibt. Das plötzliche Auftauchen eines glorreichen Siegeslieds erscheint im Gesamtkontext des Werkes völlig fehl am Platz. Der Zuhörer bleibt verlegen und schockiert zurück, während sich die Musik in immer größere Höhen aufschwingt."
Ein äußerer Grund hierfür könnte durchaus in der Tatsache liegen, dass Mahler zur Zeit der Komposition als Direktor der Wiener Hofoper auf dem Gipfel seiner Karriere und auch als Komponist endlich weltweit in hohem Ansehen stand. Ein innerer Grund liegt meiner Ansicht nach darin, dass der moralische Tiefpunkt, der mit dem tragischen Ende der Sechsten Sinfonie erreicht war, im Finale der Siebten endgültig überwunden ist und sich aus Mahlers Innerstem ein großes Glücksgefühl nach außen Bahn bricht. Kralik beschreibt dies, indem er den Bogen von der Fünften zur Siebten schlägt: "Im Übrigen steht die Siebente Sinfonie zur Fünften Sinfonie in einem komplementären Verhältnis. Dort in der Fünften war es eine Parade der Kräfte im Vorgefühl des bevorstehenden gewaltigen Abenteuers. Hier, in der Siebenten, ist es ein freudiges Überblicken der Kräfte, im erhebenden Bewusstsein, die Prüfung, die Probe glücklich bestanden, gleichsam Feuer und Wasser ohne Schaden durchschritten zu haben. Und wenn sich Mahler von seiner Sechsten Sinfonie in seinem Gemüt so tief hat niederdrücken lassen, so konnte er einem befreundeten Künstler die Siebente als die fröhlichste Musik empfehlen, die er je geschrieben hat."
Mori, der hinsichtlich der Siebten Sinfonie insgesamt auf mich ein wenig ratlos wirkt, schreibt dennoch folgende bemerkenswerte Sätze: "Das Fehlen eines Zusammenhangs und die Auflösung der Form sind jedoch die Hauptmerkmale von Mahlers Werk und sicher seine großen Stärken. In der Siebten Sinfonie kommen diese Merkmale am deutlichsten zum Ausdruck, weshalb man sie als eine der typischsten Kompositionen Mahlers ansehen kann. Unter diesem Aspekt scheint es den traditionellen Deutungen der anderen Sinfonien an Substanz zu mangeln. Gerade diese Verwirrung, die man bei der Konfrontation mit der Siebten Sinfonie empfindet, kann als Schlüssel zum Verständnis Mahlers angesehen werden."

Die Sinfonie ist übersichtlich und symmetrisch angelegt; dem gewaltigen, doch nicht dominierenden Kopfsatz steht das strahlende Finale gegenüber, in der Mitte befindet sich das Scherzo, umrahmt von zwei lyrischen "Nachtmusiken", die Mahler vielleicht von seiner liebenswürdigsten und entspanntesten Seite zeigen.
Im 1. Satz herrscht zunächst wieder eine tragische Stimmung vor, wie wir sie mit der Sechsten Sinfonie verlassen haben. Das Althorn stimmt das erste Moll-Thema an, welches sich langsam erhebt, von den Holzbläsern weitergereicht und von den Trompeten schmetternd erhöht wird, jedoch bald wieder sanft verebbt. Sachte hebt ein lyrischeres Thema an, entwickelt sich zu einem Marschrhythmus und leitet zum ersten Hauptthema "con fuoco" über, welches noch in Moll steht, bevor die Streicher zum zweiten, zarten Hauptthema in C-Dur hinüberführen, das schon eine Vorwegnahme der romantisch-optimistischen Nachtmusik-Stimmung darstellt, welche die Sinfonie anschließend bis zum Ende des vierten Satzes beherrscht, ein Eindruck, den man im ersten Satz jedoch wohl erst nach oftmaligem Hören nachvollziehen kann; einen deutlichen Hinweis hierauf gibt das Violinsolo und das darauf folgende plötzliche Innehalten der Musik, das Atemholen, welches an das lyrische Intermezzo im dritten Satz der Dritten Sinfonie erinnert. Weiche Posaunen führen aus dieser Stimmung heraus zu einem funkelnden Höhepunkt. Beide Hauptthemen kämpfen in einer nicht leicht zu erkennenden Sonatenform um die Vorherrschaft auf der Szene, umrahmt von collagenartigen Seitenthemen, deren Harmonien dem Hörer zunächst eher schwer zugänglich sind; der Satz endet jedoch versöhnlich mit einem optimistischen Ausgleich der Themen.

Wahrscheinlich wird man beim erstmaligen Hören dieser Sinfonie am schnellsten den vierten Satz mögen, aber seiner vielleicht auch leicht wieder müde werden, während die zarte und herbe Schönheit des 2. Satzes, der "Nachtmusik I", sich langsamer erschließt, aber dafür um so tiefer und dauerhafter eingräbt. Man findet sich in einer nächtlichen Tonlandschaft wieder, vorgestellt von Ruf und Gegenruf der Hörner, in welcher die Stimmen und Geräusche verschiedenster Wesen erklingen, Marschrhythmen, Glockenspiel und Herdenglocken die Präsenz der Natur und der Tiere in der Nacht beschwören und sich ein romantischer und poetischer Zauber verbreitet.

Der 3. Satz, das Scherzo, ist ein ungewöhnliches Musikstück und könnte ebenso als Nachtmusik bezeichnet werden; Mahler hat es mit "Schattenhaft" überschrieben, und genau so ist die Komposition, unheimlich, dämonisch, grotesk, nächtliche Schatten, Kobolde, Geister spuken durch die Finsternis, Wahngebilde und Albträume huschen durch die Klänge, oftmals kaum wahrnehmbar, niemals zu ergreifen. Nur ein lyrisch-märchenhaftes Trio, von der Oboe eingeführt, unterbricht diesen Hexentanz für kurze Zeit und entführt in eine andere Traumwelt.

Der 4. Satz, die "Nachtmusik II", ist sicherlich ebenso berühmt und beliebt wie das Adagietto der Fünften Sinfonie; der ungewöhnliche Einsatz von Gitarre und Mandoline, zusammen mit Harfen und Streicher-Soli, sowie die Überschrift "Andante amoroso" belegen eindeutig, worum es sich hier handelt: Es ist ein Ständchen für ein geliebtes Wesen. Ich möchte aber anführen, dass es einerseits sehr viel weiter gehende Eindrücke gibt wie die von Bruno Walter, der diesen Satz empfindet als "vielleicht das Schönste, das Mahler je geschrieben hat: eine süß-zarte Erotik lebt darin als einziger erotischer Laut, der meines Wissens in Mahlers Werken vorkommt." Andererseits gibt es völlig gegenteilige Standpunkte wie beispielsweise denjenigen von Yasuhiko Mori, dass "dieser Satz [...] ambivalente Gefühle - eine Mischung von Zuneigung und Verachtung - für die in den Straßen und Kneipen Wiens zu hörende Musik ausdrückt [...]". Letztere Ansicht vermag ich absolut nicht zu teilen, denn es gebricht diesem Satz völlig an der bei Mahler doch sonst oft genug herauszuhörenden Ironie, dieser so grazilen und zärtlichen Serenade fehlt jegliche Neigung zu Übertreibung und Kitsch. Übrigens weist Blaukopf zu Recht darauf hin, dass Mahler hier bereits den symphonischen Kammerstil antizipiert, den Arnold Schönberg, einer der größten zeitgenössischen Mahler-Bewunderer, mit seiner Kammersinfonie im Jahre 1906 etablierte.

Ein virtuoser Paukenwirbel leitet den 5. Satz ein, gefolgt von dem oft beschriebenen "Meistersinger"-Zitat des Wagner-Bewunderers Mahler, das die Blechbläser schmettern, wobei der Satz im Ganzen von den Fanfaren der Blechbläser dominiert wird, die den Charakter des Triumphalen unterstreichen. Ein solcher Umschwung vom zu Tode Betrübten in eine jauchzende Hochstimmung ist mir allerdings "im wirklichen Leben" durchaus nicht fremd: Wenn man ein Jammertal durchschritten und den depressiven Augenblick, mit dem nicht nur ich das Finale der Sechsten Sinfonie charakterisiert habe, endlich hinter sich gelassen hat, so können sich Ausgelassenheit und Fröhlichkeit sehr leicht zu einem Triumphgefühl steigern. Doch auch hier gibt es andere Eindrücke und ich zitiere wieder Mori: "Der strahlende Siegesruf der Blechbläser klingt hohl [...] Ist es ein erfolgloser Versuch, ein siegreiches Finale zu schaffen, oder ist es eine bittere Bestätigung, dass die Illusion des Sieges eben nichts weiter ist als eine Illusion?"
Nein, dem kann ich absolut nicht zustimmen, und die auf die Siebte Sinfonie folgenden Tonschöpfungen belegen darüber hinaus das Gegenteil: Das seelische Leid ist überwunden, der Triumph ist wahrhaftig!

Seitenanfang