Uraufführung am 25. November 1901 in München unter Leitung von Gustav Mahler
- Bedächtig. Nicht eilen
- In gemächlicher Bewegung. Ohne Hast
- Ruhevoll
- Sehr behaglich
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Als Liebhaber von Gustav Mahlers Musik kann ich mir die Freiheit nehmen, seine Sinfonien
nicht nach musikwissenschaftlichen Kriterien zu beurteilen und einzuordnen, sondern ausschließlich
nach emotionalen Gesichtspunkten. Nach der wunderschönen Ersten Sinfonie und den zwei gewaltigen
Werken Zweite und Dritte Sinfonie, deren erschöpfenden Gipfelpunkt der sechste Satz der Dritten
bildet, entsteht bei mir der Eindruck, als habe Mahler zunächst einen Endpunkt erreicht; mit der
4. Sinfonie setzt er neu an, kleiner und bescheidener als zuvor. Zwischenzeitlich hatte er auch zwei
Jahre lang nicht mehr komponiert, nachdem er 1897 den von ihm heiß ersehnten Posten als Direktor
der Wiener Staatsoper bekommen hatte, und so begann er erst im Sommer 1899 mit der Arbeit an der Vierten
Sinfonie. Durch seine Aufgabe in Wien und Konzertreisen mit den Philharmonikern beschäftigt,
beendete er die Komposition erst im darauf folgenden Sommer des Jahres 1900 und die Orchestrierung erst
Anfang 1901.
Es fällt mir allerdings auch schwer, die Vierte Sinfonie als neuen Anlauf zu den
ihr folgenden Steigerungen und Höhen zu sehen; viel eher erscheint sie mir als recht heiteres,
gefälliges Zwischenspiel zwischen zwei grandiosen Zyklen: "Die große Spannung, die Mahler
beherrscht hatte, ist gewichen; [...] Nicht nur die irdischen Dinge, sondern auch die ins Metaphysische
gerichteten Gedanken und Visionen haben etwas von ihrem Ernst, ihrer Gewichtigkeit, ihrem Pathos
verloren. Sinnlichkeiten oder Übersinnlichkeiten, gleichviel, der Komponist wendet sich ihnen mit
spielerischer Lust, mit freudiger Bereitschaft zu." (Heinrich Kralik)
Auch formal gesehen ist die Vierte mit ihren klassischen vier Sätzen eher
traditionell, wenn man einmal vom Sopransolo im Schlusssatz und den teils unerwarteten Tonarten
absieht.
Der erste Satz ist eine Art Rondo in Sonatenform in G-Dur. Ein Scherzo in c-Moll bildet den
zweiten Satz und endet in C-Dur. Beide Sätze werden durch den deutlich hervortretenden
Einsatz der Holzbläser geprägt, die ein starkes Gegengewicht zu den Streichern bilden. In
allen Instrumentengruppen dominieren die Soli, Tutti-Phrasen sind kaum auszumachen. Das Scherzo
erinnert ein wenig an den dritten Satz der Zweiten, doch ist es nicht vergleichbar spöttisch und
parodistisch, sondern eher skurril und komisch, besonders betont durch die schrill wirkende Solovioline,
doch immer wieder durchbrochen von der geheimnisvollen dunklen Schönheit der Klarinettensoli.
Der langsame dritte Satz steht wieder in G-Dur und erinnert in seiner träumerischen, sanften
Art an das Finale der Dritten Sinfonie, ohne jedoch nur annähernd an dessen Ausdruckskraft und
Tiefe heranzureichen. Wieder zeigt sich der leichtere, kammermusikartigere Charakter der Vierten
Sinfonie.
Auch der vierte Satz, das Finale mit Sopransolo, steht in G-Dur, endet aber in E-Dur. Den
Zuhörer etwas unsanft aus den Träumen des dritten Satzes reißend, kehrt Mahler zum
Burlesken zurück und die Sinfonie endet in der oft für ihn typischen volksliedhaften Weise.
Dem Umfang und dem Charakter der Vierten Sinfonie entsprechend ist die Besetzung des
Orchesters, entgegen Mahlers sonstigen Vorlieben, drastisch reduziert, vor allem die
Bläserbesetzung ist stark eingeschränkt, Posaunen und Tuben sind gar nicht vorhanden. Der
Hörer findet scheinbar schnell einen Zugang zur Vierten Sinfonie, doch ihre grazile Gestalt und
ihre herbe Schönheit erschließen sich erst durch mehrfaches, aufmerksames Zuhören. |