Für mich ist Gustav Mahler eines der größten musikalischen Genies, die je gelebt haben.
Obwohl er neben vielen Liedern nur "eine einzige Sinfonie in elf Sätzen" (Eliahu Inbal) geschrieben hat, ist dieses gewaltige
Werk einzig in der musikalischen Schöpfung; da Mahler, wenn auch älter als beispielsweise Mozart, mit 51
Jahren viel zu jung starb, ist sein Werk unvollendet geblieben, und doch ist dieses sinfonische Werk, das Mahler der
Nachwelt hinterlassen hat, weiter reichend und vielfältiger als alles, das Komponisten wie Mozart, Beethoven oder
Wagner geschrieben haben - es spiegelt die Geschichte der Welt, der Natur, des Lebens, von Anbeginn bis zur apokalyptischen
Katastrophe wider, in all ihrer Widersprüchlichkeit, ihrer Gebrochenheit, ihrer Schönheit,
ihrer Grausamkeit, ihrer Liebe, ihrer Leiden. Mögen viele Musikliebhaber und -kritiker die Sinfonien
Gustav Mahlers als unterschiedliche, in sich geschlossene Einheiten betrachten, auf mich wirken sie
ebenso wie auf Eliahu Inbal wie eine einzige Geschichte in elf Kapiteln. Es
ist natürlich, dass die einzelnen Kapitel sehr unterschiedlich sind, beschreiben sie doch ganz
verschiedene Abläufe und Zustände der Natur und des menschlichen Lebens; dennoch gehören
sie untrennbar zu einander, sie entwickeln sich vom Anbeginn fort bis zum Ende, ist der eine Teil ohne
den anderen nicht denkbar.
Mahlers Bedeutung als Komponist wird heute von niemandem mehr in Zweifel gezogen; zu
Lebzeiten als Tonschöpfer umstritten, war er als Dirigent in aller Welt berühmt und anerkannt.
Unnachgiebig hinsichtlich der Forderung nach Werktreue, für unsere Epoche eine
Selbstverständlichkeit, und streng gegenüber jeglichen Eitelkeiten der ihm untergeordneten
Künstler, war er von Musikern wie Sängern gefürchtet, jedoch geachtet. Als Verfechter
des Gesamtkunstwerks der Opernbühne ist er in die Musikgeschichte eingegangen: Für ihn
gehörten Musik, Schauspielkunst, Regie, Bühnenbild und Beleuchtung untrennbar zusammen, er
hat Epoche machende und schon zu seiner Zeit gefeierte Aufführungen in Wien unter dem Einfluss
von befreundeten Jugendstilkünstlern wie
Gustav Klimt (1862-1918) und in Zusammenarbeit mit
Alfred Roller (1864-1935) inszeniert. Mahler, obwohl älter als viele seiner komponierenden
Zeitgenossen, ist diesen in seiner Musik weit voraus: Er sprengt die traditionellen Grenzen der
Komposition und schafft einen völlig neuen sinfonischen Typus, der zwar vielerorts beim (vor
allem traditionsverliebten Wiener) Publikum auf Unverständnis stößt, jedoch auch
begeisterte Anhänger, vor allem in den Niederlanden und bei befreundeten Komponisten wie
Arnold Schönberg (1874-1951) und
Dirigenten wie Bruno Walter (1876-1962) und
Willem Mengelberg (1871-1951), findet.
Dem Engagement dieser Verfechter seiner Musik zum Trotz verschwinden jedoch mit Mahlers
Tod seine Kompositionen aus den Programmen der Konzertsäle; der entsetzliche Schatten des
Nationalsozialismus fällt auf den gebürtigen Juden und sein Werk ebenso wie auf diejenigen,
die sich für seine Musik einsetzen. Erst in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts beginnt man
die Großartigkeit seiner Kompositionen zu verstehen und seine Musik erlebt nicht nur weltweit
eine Renaissance, sondern das Genie Gustav Mahler findet bei Dirigenten, Kritikern und
Öffentlichkeit endlich die Anerkennung, die ihm gebührt.
Es gibt im Internet eine Reihe äußerst erschöpfender und informativer
Webseiten über Gustav Mahlers Leben und Werk, auf die ich z. T. weiter unten verweisen möchte.
Dennoch kann ich keine Website über die Belle Epoque gestalten, ohne ein eigenes Kapitel Gustav
Mahler zu widmen, um so diesem musikalischen Genie meine Reverenz zu erweisen und der Liebe zu seiner
Musik Ausdruck zu verleihen.
Auszüge, Anregungen und musiktechnische Hilfe aus:
- Berger, Frank: Gustav Mahler - Vision und Mythos. Versuch einer geistigen Biographie,
Verlag Freies Geistesleben, Stuttgart 1993
- Blaukopf, Kurt: Gustav Mahler oder Der Zeitgenosse der Zukunft, Bärenreiter-Verlag,
Kassel 1989
- Hempel, Christoph: Neue Allgemeine Musiklehre, Schott Musik International, Mainz 1997
- Inbal, Eliahu: Gustav Mahler: Sämtliche Sinfonien mit Das Lied von der Erde, Solisten, Chor
und RSO Frankfurt, 1985-1988, Alte Oper, Frankfurt - DENON/Nippon Columbia 1988
- Kaplan, Gilbert: The Kaplan Mahler Edition, The Kaplan Foundation/Gilbert E. Kaplan, 1996
- Kralik, Heinrich: Gustav Mahler - eine Studie, hrsg. von Friedrich Heller, Verlag Elisabeth Lafite,
Wien, Österreichischer Bundesverlag, Wien
- La Grange, Henry-Louis de/Weiß, Günther (Hrsg.): Ein Glück ohne Ruh'. Die Briefe
Gustav Mahlers an Alma, Wolf Jobst Siedler Verlag, Berlin 1995
- Lebrecht, Norman: Gustav Mahler - Erinnerungen seiner Zeitgenossen, Piper-Schott, Mainz, M &
T Verlag AG, Zürich/St. Gallen 1990
- Mahler, Gustav: Symphonies Nos. 1 and 2 in Full Score, Dover Publications, New York 1987
- Mahler, Gustav: Symphonies Nos. 3 and 4 in Full Score, Dover Publications, New York 1989
- Mahler, Gustav: Symphonies Nos. 5 and 6 in Full Score, Dover Publications, New York 1991
- Mahler, Gustav: Symphony No. 7 in Full Score, Dover Publications, New York 1992
- Mori, Yasuhiko, in: Gustav Mahler: Sämtliche Sinfonien mit Das Lied von der Erde, Solisten,
Chor und RSO Frankfurt, 1985-1988, Alte Oper, Frankfurt - DENON/Nippon Columbia 1988
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