Deutschland

Berlin: Belle Epoque und Secession


Historismus und Wilhelminismus

Berliner Secession Kantstraße

Auch wenn die Gründung der Secession erst im Jahr 1898 erfolgte, ein Jahr nach Wien, so begann die Spaltungsbewegung schon im Jahr 1892, gleichzeitig mit der Gründung der Münchener Secession. Die Motive für die Abspaltung einer Gruppe fortschrittlicher Künstler vom traditionalistischen Kunstverein waren ebenfalls gleich: Die Etablierten waren Neuem gegenüber nicht aufgeschlossen und suchten das Entstehen moderner Ideen und neue Entwicklungen zu verhindern. Im deutschen Kaiserreich dominierte das konventionelle, historisierende "Kunstverständnis" Wilhelms II., der die Stadt mit so unglaublichen Bauwerken wie der Gedächtniskirche (1891), einer neoromanischen Steinmasse, oder dem Dom (1894-1905), einem überdimensionierten Koloss, schmückte und an der Siegesallee 32 monumentale Skulpturengruppen aus der brandenburgisch-preußischen Geschichte aufstellen ließ: "Eine Kunst, die sich über die von mir bezeichneten Gesetze und Schranken hinwegsetzt, ist keine Kunst mehr, sie ist Fabrikarbeit, ist Gewerbe, und das darf die Kunst nie werden." Diesen Worten Wilhelms, der damit sehr genau zielte, standen die Naturalisten und Impressionisten mit ihren Darstellungen aus der Alltagswelt direkt entgegen. Doch obgleich der Kaiser 1894 aus Protest gegen die erste öffentliche Aufführung von Gerhart Hauptmanns sozialkritischem Stück Die Weber seine Loge im Deutschen Theater kündigte, war der Durchbruch neuer Kunstformen nicht aufzuhalten.

Skandale

Im Februar 1892 kam es zum Zusammenschluss einer Gruppe von Berliner Malern zur "freien Vereinigung zur Veranstaltung von künstlerischen Ausstellungen". Zu diesem Zeitpunkt hatten die führenden Initiatoren Walter Leistikow, Franz Skarbina und Max Liebermann jedoch noch nicht die Absicht, den etablierten Verein Berliner Künstler zu verlassen oder auf die Teilnahme an der Großen Berliner Kunstausstellung zu verzichten, die alljährlich vom Verein veranstaltet wurde.
Ein erster Skandal fand im selben Jahr statt. Am 5. November 1892 wurde im Berliner Architekturhaus eine Ausstellung mit Werken von Edvard Munch in Anwesenheit des Künstlers eröffnet. Doch noch während der Eröffnung entsetzten sich führende Mitglieder des Vereins Berliner Künstler dermaßen über die Bilder, dass sie kurz darauf die Ausstellung wieder schlossen. Die oppositionelle Gruppe um Max Liebermann hatte zu diesem Zeitpunkt weder den Einfluss, die Schließung zu verhindern, noch die zahlenmäßige Stärke, um den Verein zu verlassen, der beherrscht wurde von seinem Vorsitzenden und Präsidenten der Akademie der Schönen Künste, dem Historienmaler Anton von Werner, der in monumentalen Ölschinken der preußischen Krone huldigte und somit natürlich des Kaisers Gefallen fand. Von Werner und Kollegen sollen beim Anblick der Bilder Munchs nach Aussagen anderer Besucher ausgerufen haben: "Das soll Kunst sein? Das ist fremd, abstoßend, hässlich, gemein! Hinaus mit den Bildern!"
Als eine Reaktion auf die Schließung der Munch-Ausstellung gründete sich zunächst die Gruppe der Elf (u. a. Walter Leistikow, Max Liebermann, Max Klinger und Ludwig von Hofmann), um auf privater Basis junge neue Künstler zu fördern.

Die Berliner Secession

Auf Dauer konnte der Verein Berliner Künstler die Veränderungen in der Kunst lediglich erschweren, aber nicht aufhalten; am wenigsten gelang dies bei des Kaisers Lieblingsfeind, Max Liebermann, der nach Aufenthalten in Paris und München bereits ein anerkannter Künstler war, als er 1884 nach Berlin zurückkehrte. Obwohl von offizieller Seite ignoriert und totgeschwiegen, wurden Liebermanns Werke immer wieder in privaten Ausstellungen, beispielsweise der "Elf", gezeigt und so populär, dass seine Bilder schließlich in die staatliche Gemäldesammlung aufgenommen werden mussten. 1897 erhielt er sogar eine Professur an der Königlichen Akademie der Künste und wurde zum Wegbereiter der Moderne, aber den Durchbruch hatten die Avantgardisten noch längst nicht erzielt. Auf der Großen Berliner Kunstausstellung des Jahres 1898 sollte auf Empfehlung der Jury, zu der Liebermann gehörte, an Käthe Kollwitz eine Medaille für ihre von Gerhart Hauptmanns Stück angeregten Radierungen Aufstand der Weber verliehen werden. Der Kaiser verweigerte seine Zustimmung, wenn auch mit der Begründung, die Verleihung einer Medaille an eine Frau ginge ja wohl doch zu weit; eine Gemälde des inzwischen schon sehr bekannten Malers Walter Leistikow wurde von der Jury zurückgewiesen und der Kaiser verweigerte einer Medaille an Leistikow ebenfalls seine Zustimmung, da er der Ansicht war, ein Maler, der seine Bäume blau färbe, wisse wohl weniger von der Natur, als er selbst auf der Jagd gelernt habe.
Damit war für die Avantgardisten das Maß voll; es war ihnen klar, dass sie von Seiten der Etablierten keinerlei Förderung zu erwarten hatten. Daraufhin gründeten 65 Berliner Maler und Bildhauer am 2. Mai eine neue Künstler-Vereinigung, die nach den Münchener und Wiener Vorbildern die Berliner Secession genannt wurde. Zum ersten Präsidenten der neuen Vereinigung wurde Max Liebermann gewählt; namhafte Künstler gehörten ihr an, unter anderen Lovis Corinth, Max Slevogt, Käthe Kollwitz, Heinrich Zille, Ernst Barlach, Max Beckmann und Edvard Munch. Der Berliner Kunsthändler und Verleger Paul Cassirer und sein Cousin Bruno, die in der Kantstraße eine auf moderne Kunst spezialisierte Galerie betrieben, wurden geschäftsführende Sekretäre.
Die erste Ausstellung fand am 19. Mai 1899 in Charlottenburg statt. Neben dem Theater des Westens wurden in einem eilends errichteten kleinen Gebäude über 300 Bilder und Grafiken sowie 50 Skulpturen gezeigt. Die Antwort des Establishments war nicht überraschend: Auf kaiserlichen Befehl durfte kein Militärangehöriger in Uniform Ausstellungen der Secession besuchen, kein Secessionist durfte als Juror in offiziellen Veranstaltungen teilnehmen. 1902 kehrte eine konservative Minderheit der Secession den Rücken. 1904 erreichte Wilhelm zusammen mit dem Deutschen Künstlerbund den Ausschluss der Secession von der Weltausstellung in St. Louis. Als das Kulturministerium den Secessionisten die Hand reichen wollte und eine Liebermann-Retrospektive in der Akademie vorbereitete, schritt der Kaiser dagegen ein. Doch all diesen Anfeindungen zum Trotz entwickelte sich die Secession zu einem so anerkannten und wesentlichen Element in der deutschen Kunst des Kaiserreichs, dass Liebermann 1907 ausrufen konnte: "Die Revolutionäre von gestern sind die Klassiker von heute."

Spaltungen und Niedergang

Doch genau hier lag ein neues Problem, denn jüngere und wiederum modernere Künstler waren nach Berlin gekommen und führten nun einen ähnlichen Kampf gegen die Etablierten der Secession wie diese seinerzeit gegen die Akademie. 1910 spaltete sich die Secession, nachdem die Jury unter dem Vorsitz Liebermanns 27 Gemälde expressionistischer Künstler wie Max Pechstein abgelehnt hatte. Unter Pechsteins Führung wurde die Neue Secession gegründet, die im Mai eine Ausstellung mit dem Titel "Zurückgewiesene der Secession Berlin 1910" veranstaltete.
Neben München, wo Wassily Kandinsky 1911 den Blauen Reiter ins Leben gerufen hatte, wurde Berlin, vor allem durch den Zuzug Dresdener Maler der Künstlergemeinschaft Brücke wie Ernst Ludwig Kirchner, Karl Schmidt-Rottluff und Erich Heckel, ein Zentrum des deutschen Expressionismus. Diese neue Avantgarde fand in Herwarth Waldens Zeitschrift Der Sturm ihr Forum, in der neben bildenden Künstlern auch Schriftsteller und Literaten wie Else Lasker-Schüler, Kurt Hiller, Arno Holz, Jacob van Hoddis, Alfred Döblin und Paul Scheerbart schrieben.
Nach heftigen Anwürfen Emil Noldes gegen Max Liebermann wurde dieser aus der Secession ausgeschlossen. Kurz darauf legte Liebermann ebenso wie seine engsten Mitarbeiter seine Vorstandsfunktionen nieder. Liebermanns Nachfolger als Präsident wurde Lovis Corinth, diesem folgte im Dezember 1912 Paul Cassirer.
Im Sommer 1913 fand die letzte erfolgreiche Ausstellung der Secession statt. Es gab jedoch einen weiteren Bruch, da bei der Auswahl der Exponate wiederum Werke von 13 Mitgliedern abgelehnt wurden. Daraufhin veranstalteten diese 13 eine eigene Ausstellung und griffen den Vorstand an. Nachdem sie vergeblich zum Austritt aus der Secession aufgefordert worden waren, verließen ihrerseits Slevogt, Cassirer und rund 40 weitere Mitglieder die Secession; im Frühjahr 1914 gründeten sie mit Max Liebermann als Ehrenpräsident die Freie Secession. In den 20er Jahren, nach den verschiedenen Spaltungen und dem Ersten Weltkrieg, löste sich die Secession auf.

Jugendstil im heutigen Stadtbild

Im letzten Weltkrieg sind bekanntlich große Teile der alten Reichshauptstadt dem Erdboden gleich gemacht worden. Geht man heute durch Charlottenburg, Wilmersdorf, Schöneberg, Friedrichshain, vor allem aber Tiergarten und Mitte, so sieht man in großen Teilen dieser Stadtteile Straßenzug um Straßenzug nur ganz vereinzelt Häuser, die aus der Zeit vor 1945 stammen und wie Fremdkörper im Straßenbild wirken. Und dennoch: Was der Krieg - in Ost und West - übrig ließ, was die DDR überdauert und die BRD überstanden hat, ist nicht wenig und beeindruckt auch heute noch. Von reinem Jugendstil ist allerdings, einige wenige Perlen ausgenommen, wenig zu sehen; Berlin war kein Zentrum des Jugendstils, vorherrschend sind Historismus und Eklektizismus der Gründerzeit und das wilhelminische Stilgemisch, das oft noch protziger und schwerfälliger wurde, je näher der Erste Weltkrieg rückte. Es lässt sich aber erkennen, dass der Jugendstil großen Einfluss auf die Berliner Architekten jener Epoche hatte; kaum ein Bau nach 1890, der nicht Elemente des Art Nouveau enthält oder die neue Stilrichtung sogar erkennbar zum Vorbild genommen hatte. Absolut bemerkenswert sind außerdem Berliner Industriebauten der Belle Epoque, deren manche die Entwicklung zum Bauhaus-Stil schon vorwegnehmen, allen voran die AEG-Gebäude von Peter Behrens.